Leserbrief

Zwischen Pest und Cholera: Die Ärzteschaft in der Corona-Zwickmühle

Die pandemische Lage von nationaler Tragweite rund um das neuartige Virus SARS-CoV-2 verlangt den Menschen vieles ab: beruflich, persönlich, finanziell und auch auf privater Ebene. Familienfeiern gehören der Vergangenheit an. Haushalte dürfen sich nur noch sehr stark eingeschränkt begegnen. Für Kinder wird die Ein-Freundes-Regel eingeführt. Soziale Gefüge werden zerschlagen und jedwede Abhängigkeiten ignoriert. Berufsverbote werden verhängt und auch alteingesessene Betriebe ohne Vorwarnung geschlossen. Schulen und Kindergärten werden ebenfalls geschlossen oder arbeiten nur noch im Notbetrieb. Wer es sich leisten kann, ist dazu aufgefordert, Kinder und Jugendliche zuhause zu lassen oder im Homeschooling zu unterrichten. Viele der Eltern müssen teilweise zu Hause bleiben. Es droht nicht nur der gesellschaftliche, sondern auch finanzielle Kollaps: das große Aus an allen Ecken und Enden in einem Land, „in dem wir gut und gerne leben“.

Die AHA+L-Regeln dominieren den Alltag vieler Menschen. Abstand halten, Hände waschen, Alltagsmasken und regelmäßiges Lüften zur Reduzierung der Aerosolbelastung in geschlossenen Räumen. Die meisten der regierungsseitigen Imperative kann man als unproblematisch ansehen. Haben wir nicht schon immer an der Kasse Abstand zur Kundschaft vor uns gehalten, weil es die Höflichkeit gebietet? Haben wir nicht schon immer teilweise Stoß- und ausführlich gelüftet? Braucht es hierfür wirklich einen politischen Imperativ? Und viele Menschen Fragen sich zu Recht: Sind wir in 2021, nach mehr als einem Jahr der Pandemie, immer noch beim Hände waschen, oder darf trotz zeitgleich angesetzten Klimazielen nun endlich auch wieder geduscht werden?

Und auch die Masken sind umstritten. Wenn sich der Spitzen-Virologe der Charité, Prof. Christian Drosten, in einem Interview aus 2020 bereits darüber auslässt, dass man „das Virus mit den Masken nicht aufhalten können werde, weil die technischen Daten dafür schlecht seien“ und die Bundesregierung in einem Leitpapier klar definiert, dass die Masken nicht den Träger vor dem Virus, sondern das Umfeld des Trägers vor eventuellen Auswürfen des Trägers schützen kann, aber nicht unbedingt muss: Fragen sich gesunde Menschen, die inzwischen unter Generalverdacht als „symptomlos Erkrankte“ gelten, dann nicht zurecht, ob diese Maßnahmen dann noch Sinn machen?

Zumindest für die Maskenproblematik bieten viele der Landesverordnungen zur Corona-Bekämpfung einen Ausweg – auch in Rheinland-Pfalz. Schon im Eingangsparagraphen bietet die neunzehnte Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (19. CoBeLVO) vom 23. April 2021 die Möglichkeit, sich von der Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ärztlich befreien zu lassen. Dort heißt es im vierten Absatz: „Das Abstandsgebot sowie die Maskenpflicht gelten nicht (…)für Personen, denen dies wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist; dies ist durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen.“

Ausschnitt aus einem Attest zur Maskenbefreiung

Doch welcher Arzt oder welche Ärztin kommt den zum Beispiel chronisch kranken Menschen heute noch – unter den gegebenen Voraussetzungen – freiwillig zu Hilfe? Im Hinblick auf die Ergebnisse der 1. Pressekonferenz des Bündnisses von Ärzten, Anwälten und Psychotherapeuten, die unter https://youtu.be/u68bTWYY2UI zu finden sind, ist das Spannungsfeld, indem sich Medizinerinnen und Mediziner gerade befinden, hinlänglich bekannt:

  • Auf der einen Seite sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte dazu aufgefordert, aufgrund ihres hippokratischen Eids jedem Menschen nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen und damit zu versuchen, Schaden von ihren Patientinnen und Patienten abzuwenden.
  • Auf der anderen Seite droht vielen Ärztinnen und Ärzten eine strafrechtliche und berufsrechtliche Verfolgung, weil sie staatsanwaltlich wegen der Ausstellung angeblich falscher Atteste unter Anklage gestellt und von den Kammern Rügen und Ordnungsgelder bis hin zu Berufsverboten gegen die Medizinerinnen und Mediziner verhängt werden.

Die Ärztinnen und Ärzte stehen damit vor der Wahl zwischen – im Zweifelsfall – unterlassener Hilfeleistung und Verletzung des hippokratischen Eids auf der einen und rechtlicher Verfolgung einschl. Praxisdurchsuchungen und –schließungen, Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen auf der anderen Seite. Die berühmte Wahlmöglichkeit zwischen Pest und Cholera. Ein unhaltbarer Zustand.

Im vergangenen Jahr hat die Ärztekammer Hamburg noch dazu aufgerufen, systemkritische Ärztinnen und Ärzte, die an Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen teilnehmen, zu melden, um sie berufsrechtlich verfolgen zu können. Inzwischen scheint es die bislang einzige Kammer zu sein, deren Präsident insg. 4 Diagnosegruppen öffentlich genannt hat, die zu einer Attest-Ausstellung berechtigen würden. Glück auf, wer in Hamburg wohnt!

Doch warum ist das in Rheinland-Pfalz nicht möglich?

Anfragen bei zuständigen Ministerien laufen entweder ins Leere oder werden damit abgeschmettert, dass man vor der Umsetzung etwaiger Beschlüsse im Zusammenhang mit der Corona-Bekämpfung in ständigem Austausch mit Experten stünde, um hinreichende Informationen, die dem Schutz der Bevölkerung diesen, erhalten zu können und ein Diagnosenkatalog bzgl. der genaueren Definition der Ausnahmeregelungen des §1 CoBeLVO aufgrund mangelnder Notwendigkeit nicht vorgesehen sei.

Es mehren sich in jüngster Vergangenheit die Meldungen von Betroffenen, die sich schriftlich an die Ärztekammer Rheinland-Pfalz gewandt haben, ihren Fall dort vortrugen und die persönliche Betroffenheit anhand ihrer Befunde nachweisen konnten. Bislang hat die Kammer keinen einzigen Fall in der Art und Weise persönlich anerkannt, sodass es dem Arzt oder der Ärztin kammerseitig explizit genehmigt würde, im betreffenden Fall ein Attest auszustellen. Stattdessen beruft sich die Kammer wiederholend darauf, dass es nicht in deren Ermessen, sondern allein in der Verantwortung des behandelnden Arztes läge, ein Attest auszustellen oder dies dem Betroffenen zu verweigern, zur Erinnerung: mit eventuell berufsrechtlichen und finanziellen Folgen.

Im Fußball ist ein Rückpass zum Torwart inzwischen verboten; in der Medizin aber offensichtlich von den Aufsichtsbehörden gewollt, um sich Maßnahmen gegen eben genau die Berufsgruppe offen halten zu können, die sie eigentlich vertreten und beschützen sollte – zum Leidwesen der Betroffenen.

Name des Verfassers der Redaktion bekannt
08.05.2021