Eröffnung der Ausstellung von Klaus Zwick: „Memento“

Vom 24.3.-28.4.2019 in der Städtischen Galerie

Von Daniel Kemmerich

Gerd Dudenhöffer, Leiter Städtische Galerie Speyer im Gespräch mit Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler

Speyer / Städtische Galerie – Am Sonntag, 24.03.2019 eröffnete die Ausstellung des Künstlers Klaus Zwick „Memento“. Memento heißt erinnern und erinnern sollte man sich an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Auf ganz eigene, sehr persönliche Weise sucht Klaus Zwick immer wieder neue künstlerische Zugänge zu dem zu gewinnen, was einem die Sprache verschlägt und einen ohnmächtig stumm macht.

Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler bei der Eröffnungsrede

Die Wandinstallation „Herbarium oder deutsche Kalenderblätter“ bildet den Ausgangspunkt für die weiteren Arbeiten Klaus Zwicks. Von naturliebender Hand gesammelten Pflanzen und Blättern werden sachlich informative Daten-Blätter gegenübergestellt, die den Fortschritt der Barbarei dokumentieren. Jedem Datum des akribisch geordneten Herbariums wird ein Ereignis an die Seite gesetzt, aus dem sich die fortschreitende Zerstörung der Menschlichkeit ablesen lässt. Harmlose, geradezu idyllische Liebe zur Natur erscheint zeitgleich mit dem Hass des Menschen auf den anderen Menschen.

Hans Jürgen Herschel bei seiner Einleitung zur Ausstellung „Memento“

So dient die Ausstellung vor allem der Erinnerung an die 89 ermordeten Juden aus Speyer. Zugleich soll sie Mahnen und wider dem Vergessen, in Zeiten in denen der Antisemitismus wieder auflebt, ein Zeichen setzen und Augen und vor allem den Geist öffnen. In einer intensiven Begegnung, die einen nicht froh zurück lässt, soll man sich dem Memento stellen und Gedenken statt zu vergessen.

Sehen Sie hier das Video zur Vernissage von „Memento“:

Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler, aber vor allem Hans Jürgen Herschel, fand mahnende und tief ergreifende Worte. Seine Rede können Sie hier lesen, es gilt das gesprochene Wort:

Verehrte Anwesende,

Vielleicht ist es so, als gingst du in der morgenfrühen Stille eines Sommertags durch die Stadt, durch die noch leeren Straßen. Wie ein Kleid umhüllt dich die Stille und die Welt scheint nur Licht zu sein und Frieden. Da huscht ein Schatten vorbei und dann noch einer und immer mehr: nicht Menschen, die vorübereilend einen Schatten werfen, nein, nur Schatten, Schatten, denen die Menschen abhanden gekommen sind. Und immer mehr Schatten, bis alles im Dunkel liegt – und du aufschreist und aus deinem Traum erwachst.

Vielleicht ist es so, dieses Nicht-los-Kommen von der Vergangenheit, dieses unbeirrbare Gespür, dass etwas stumm bleibt, wenn du ihm deine Stimme nicht leihst.

Seit vielen Jahren ist die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus eines der, wenn nicht das zentrale Thema der künstlerischen Arbeit von Klaus Zwick. Auf immer neuen, überraschenden Wegen nähert er sich dem, was vergangen ist und doch nicht vergangen ist und niemals vergessen werden darf. Betrachten wir seine Deutschen Kalenderblätter, die den Kern dieser Ausstellung bilden.

Zwischen 1935 und 1938 streift irgendwo in Schweden ein Mann namens Lennart Larsson durch Wald und Flur, sammelt Blumen und Gräser, bestimmt sie akribisch, vermerkt gewissenhaft Datum und Fundort. Langsam wächst sein Herbarium heran und nicht ohne Stolz wird er es manchmal betrachtet haben. Mehr wissen wir nicht von ihm.

Ein Menschenalter später, 2003, entdeckt Klaus Zwick auf einem Flohmarkt dieses Herbarium, ist fasziniert davon und kauft es. Eher zufällig bemerkt er, dass eine der Pflanzen, ein Buschwindröschen, am 24. 6. 1938, am 13. Geburtstag seiner Mutter gefunden wurde. Er schaut sich die anderen Daten genauer an und findet in historischen Werken Korrespondenzen, die ihn erschüttern: Meldungen über die erfolgreiche „Entjudung der Wirtschaft“, Hetzreden, die Verkündung von Rassegesetzen, Verhaftungen …

– Am Tag des Buschwindröschen-Fundes ordnet ein Erbgesundheitsgericht die Zwangssterilisation der Kunigunde H. an, eines tauben Mädchens, das genau so alt ist wie damals die Mutter: 13 Jahre.

– Am 25. Juli 1938 wird sämtlichen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen, während das Herbarium um eine prunella vulgaris reicher wird.

– Am14. Juni 1938 – Larsson hat eine Walderdbeere gefunden – wird das Gnadengesuch der kommunistischen Widerstandskämpferin Liselotte Hermann abgelehnt, kurz darauf wird sie hingerichtet.

– Auch als Betty Blum aus Speyer Selbstmord begeht, nachdem man ihr Geschäft „arisiert“ hat, findet Larsson irgendetwas Blühendes … Die harmlosen Daten der Pflanzensammlung offenbaren ihre dunkle Kehrseite, ihre 2 finsteren Zwillingsereignisse treten ans Licht und man fragt – wie Bertolt Brecht in seinem Gedicht An die Nachgeborenen –:

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?

Es geht Zwick darum, die Gleichzeitigkeit des Grauens und des Alltäglichen zu zeigen, das Nebeneinander der sorglos himmelwärts wachsenden Kräuter und der unaufhaltsam wuchernden Barbarei ins Bewusstsein zu heben. Die genau recherchierten Gräueltaten bleiben ohne jede Illustration, sie werden buchhalterisch notiert, in immer gleicher Schrift, in gleichbleibend sachlichem Stil. Als eine Enkelin von Julius Streicher, der von 1923 bis 1945 das Hetzblatt Der Stürmer herausgab, die Deutschen Kalenderblätter sah, bemerkte sie mit Recht, der Verzicht auf eine „grauenerregende“ Darstellung mache das Grauen erst recht spürbar.

Es war eine ungewöhnliche Begegnung, die Klaus Zwick zu seinem – man darf sagen: – Lebensthema führte. 1985 stellt er im Rahmen eines Schmerz-Kongresses in Heidelberg eines seiner Bilder aus. Kurz darauf schreibt ihm Rolf Meyerheim, ein Besucher der Ausstellung, er wolle das Bild kaufen. Es drücke den Schmerz aus, den er in seinem Leben erfahren habe. Fortan erscheint der ältere Herr bei allen Vernissagen des Künstlers, immer zeitig genug, um ein kurzes persönliches Gespräch führen zu können, und immer verlässt er die Veranstaltung noch vor dem Ende. Ein Schleier des Schmerzes scheint über diesem vornehmen, zurückhaltenden Mann zu liegen, der ihn umhüllt wie ein Geheimnis.

Rolf Meyerheim entstammte einer jüdischen Familie, deren Mitglieder, lange schon konvertiert, als Beamte oder Richter dem deutschen Staat dienten und im Krieg für Deutschland gekämpft hatten. Zur Zeit der Machtübernahme war er einer der jüngsten Richter in Berlin. Die Nazis enthoben ihn seines Amtes. Er emigrierte nach Uruguay, später nach Brasilien, züchtete Rinder, arbeitete für eine große Fluggesellschaft und beschäftigte sich intensiv mit Kunst und Literatur. Für seinen Einsatz für den deutschbrasilianischen Kulturaustausch erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Nach Jahrzehnten des Exils kehrte er schließlich nach Deutschland zurück und lebte in Heidelberg. Für Klaus Zwick bedeutet die Begegnung mit diesem aus Deutschland vertriebenen Deutschen jüdischer Abstammung nicht nur ermutigenden Zuspruch, sie gibt ihm auch den entscheidenden Anstoß, sich künstlerisch mit der Shoah zu beschäftigen. Deswegen ist die von ihm in Auftrag gegebene biographische Recherche als Hommage an Rolf Meyerheim Teil dieser Ausstellung.

Es sind Geschichten wie diese, die Faulkners Satz Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist noch nicht einmal vergangen nachvollziehbar machen. Ziel jeder Erinnerungskultur kann es nur sein, Bruchstücke, wenigstens Bruchstücke zerschlagener Biographien zu sichern, um die mit Füßen getretene Würde dieser Menschen im Erinnern zu retten. In Speyer haben das viele in vorbildlicher Weise getan: sehr früh schon und mit nachhaltiger Wirkung der gebürtige Römer Giovanni Bruno, in Speyer nur als Johannes Bruno bekannt, Katrin Hopstock, deren akribische Recherchen die Grundlage des virtuellen Gedenkbuchs für die Zwangsarbeiter bilden und deren Arbeit auch in diese Ausstellung eingegangen ist, die Initiative „Stolpersteine für Speyer“, die im letzten Jahr die ersten Steine verlegen konnte, das Seniorenbüro, in dem jüdische Familienschicksale erzählend aufgearbeitet wurden, – um nur einige zu nennen.

Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Deutschland – und Speyer bildet da keine Ausnahme – das Erinnern erst spät eingesetzt hat, dass das Vergessen-Wollen 3 lange den Zeitgeist beherrschte, dass man sich dem Erinnern-Müssen nicht stellte. So blieb die Wunde unversorgt, begann wohl auch zu eitern. Die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger hat in ihren Erinnerungen notiert:

Der Anblick meiner Großmutter im Viehwagen auf der Schwedenbrücke in Wien. Und die Leute um mich herum, die mit einem gewissen Vergnügen zugesehen haben. Ich war sehr jung und hatte die Gewißheit, daß meine Großmutter, die mir der liebste Mensch auf der Welt war, zurückkommt. Dann war der Krieg zu Ende, der Wohlstand brach aus, und die Leute sind an einem vorbeigeschossen. Das war noch schlimmer als der Krieg.

Und in den letzten Jahren treten die Sympathisanten der Totschläger der Vergangenheit immer dreister auf den Plan, wollen das zum Himmel schreiende Unrecht der Vergangenheit mundtot machen, die Schande kleinreden, wenn nicht sogar leugnen. In solchen Zeiten muss umso vernehmlicher ein Memento gerufen werden, weil nur im Erinnern an das Unvorstellbare, das Menschen von Menschen angetan wurde, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen glaubhaft zu verteidigen ist und weil – wie Hilde Domin sagt – aus der Erinnerung ein Impfstoff für die Nachgeborenen gewonnen werden kann, ein Impfstoff gegen Barbarei und Unmenschlichkeit.

Und wieder steigt dieser Traum in dir auf, in dem Schatten alles verdunkeln, und du siehst die menschliche Gestalt dieser Schatten, schemenhaft nur, doch du siehst sie, und von fern hörst du das El malej Rachamim, das jüdische Totengebet für die Opfer der Shoah, all die Seelen der sechs Millionen Juden, ermordet, geschlachtet, verbrannt, umgekommen durch die Hände der deutschen Mörder, (…) all die Seelen mögen ruhen an ihrer Lagerstätte in Frieden, und immer siehst du die Schatten, die Menschen …

Zwick hat nicht nur dieses Gebet in seine lithographischen Arbeiten aufgenommen, er hat auch den Menschen, die nur noch als Schatten da sind, wieder ihren Namen gegeben. Alle Namen der 89 Speyerer Mitbürger, die wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten ermordet wurden, hat er gedruckt. Jeder Druck ist eine Lithographie, für jeden Namen stellt er die Druckvorlage selbst her. Er druckt auf große Bogen Büttenpapier, jeden Namen für sich, um seine Besonderheit zu betonen, aber doch alle Namen in gleicher Weise, um das Gemeinsame ihres Schicksals sichtbar zu machen. Er lässt einen wertvollen Bucheinband herstellen, in dem diese Blätter Platz finden können, und verwandelt so die Todeslisten der Nazis in ein Buch des Gedenkens. Vor diesen Blättern stehend, vernimmt man – den Schrecken nicht übertönend, aber ihm etwas entgegensetzend – jene Worte des Trostes aus dem Alten Testament: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein

Und nun, so heißt es bei Jesaja, spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Was für eine schöne Formulierung, was für eine ermutigende Zusage. Denn Du bist mein bedeutet kein In-Besitz-Genommen-werden, kein Beschlagnahmt-werden, es ist vielmehr das bedingungslose Versprechen: Ich bin für dich da. Und Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. bei deinem Namen, bedeutet: dein So- oder Anders-Sein wird anerkannt, die Einmaligkeit deiner Person geachtet. Aber dann folgen Verse, die einen erschauern lassen:

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein. (…) Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen und die Flamme wird dich nicht versengen.

Erschüttert sehen wir, dass dieses Versprechen nicht gehalten wurde. In der Erfahrung äußerster Ohnmacht untergegangen scheint die durch dieses Versprechen geweckte Hoffnung.

Man hat dem Christentum vorgeworfen, es habe den Holocaust nicht verhindert; man hat gesagt, nach Auschwitz könne man an Gott nicht mehr glauben; wieder andere meinen, ohne den Glauben an Gott könne man das Grauen der Vernichtung gar nicht ertragen. Wir wissen auf diese Fragen keine Antwort. Und doch hat Nelly Sachs einem ihrer berühmtesten Gedichte die Worte aus dem Buch Hiob vorangestellt:

Und wenn diese meine Haut zerschlagen sein wird, so werde ich ohne mein Fleisch Gott schauen. (Hiob 19,26)

Nelly Sachs, 1966 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, konnte im Mai 1940 – der Befehl zum Abtransport in ein Lager war bereits eingegangen – mit ihrer Mutter nach Schweden fliehen. So blieb ihr das Schicksal ihrer Freundin Gertrud Kolmar erspart, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Nelly Sachs hat versucht, in Worte zu fassen, was dem Menschen die Sprache verschlagen muss.

O die Schornsteine Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch Durch die Luft –

(…)

O die Schornsteine Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub – Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch?

Gelingt es ihr damit, Adornos Behauptung zu widerlegen, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben? Ist es Paul Celan gelungen mit seiner Todesfuge? Jeder Versuch einer künstlerischen Bewältigung enthält, und sei es noch so gering, ein gewisses Maß an Ästhetisierung des Geschehens, das unvereinbar ist mit dessen Ungeheuerlichkeit. Klaus Zwick hat das Gedicht O Schornsteine von Nelly Sachs mit Asche gedruckt. Vielleicht ist das ein Weg, ihm gerecht zu werden, aber letztlich bleibt immer eine unüberwindbare Distanz – weil der Abgrund an Unmenschlichkeit zu tief ist, um sich jemals vermessen zu lassen. Es gibt eine Stille, die nicht sanft ist, in die man sich nicht hineinschmiegen kann, eine ungeschützte Stille, durch die ein eisiger Wind weht, in deren absoluter Leere du dich rettungslos ausgesetzt fühlst. Das ist die Stille, die eintritt, wenn geschieht, was jeden menschlichen Laut erstickt, jeden Klang verstummen lässt. Wer das Unfassbare, das geschehen ist, nicht erfahren musste, kann sich eine solche Stille nur annähernd vorstellen, aber das heißt nicht, etwas von ihr zu wissen oder gar zu spüren. Vielleicht sollte man über das, woran hier zu erinnern ist, gar nicht sprechen, sondern in einem tiefen gemeinsamen Schweigen verharren – in der letztlich unbegründbaren Hoffnung, es könne uns irgendwann wieder eine Stille umgeben, die nicht leer ist, sondern sanft und eine Geborgenheit schenkt, aus der niemand ausgeschlossen ist.

Sehen Sie hier das Fotoalbum zur Vernissage von „Memento“:

Foto: S24N, dak Video S24N, mh
25.03.2019


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