Musik als Ausdruck für Gottes Nähe zu den Menschen
Pontifikalamt mit Bischof Wiesemann zum Jahresabschluss 2019 im Dom zu Speyer
Speyer – Im Pontifikalamt zum Jahresschluss stellte Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann die Nähe Gottes zu den Menschen in den Mittelpunkt. Der Herr ziehe einen roten Faden durch unser Leben – auch, wenn wir es nicht wahrnehmen würden, sagte er. Der Gottesdienst, der wie gewohnt im Zeichen der Rückschau auf das alte und der Bitte um ein gutes neues Jahr stand, zog wieder hunderte Gläubige an, die den Dom ganz füllten. Der Bischof riet der Gemeinde, auch all das Schwere mit in diese Messe am Silvester-Nachmittag zu bringen, das sie in diesem Jahr beschäftigt hat.
Wie sich Gottes Nähe ausdrücken kann, machte Wiesemann in seiner Predigt anhand der Musik deutlich. Er beschwor die mystische Kraft von Melodien, die eine Verbindung zu Gott schaffen und Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten, stärken und Würde verleihen. Er machte das an der bewegenden Lebensgeschichte der Musikerin Zuzana Ruzickova fest. Als Mädchen wurde die Jüdin mit ihrer Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt. In der Hand hielt Zuzana einen Zettel, auf dem sie den Anfang ihres Lieblingsstückes von Johann Sebastian Bach geschrieben hatte. Diesen Zettel gab sie nicht mehr her. Immer wenn sie auf den Zettel blickte, erklang die Musik in ihren Gedanken.
Mutter und Tochter überlebten Internierungen in drei weiteren Konzentrationslagern. Während dieser Zeit habe die Musik Zuzana aufrecht gehalten, berichtete Wiesemann. „Die Nazis konnten ihr die Musik nicht stehlen.“ Offenbar habe die Musik eine viel größere Kraft besessen als die Hölle der Konzentrationslager, überlegte der Bischof. „Die Musik Bachs hat ihr das das Tor geöffnet zum Leben, zum Überleben.“ Die Musik habe Zuzana Würde verliehen in einer Umgebung von jeglicher Entwürdigung.
Zuzana Ruzickovas Biografie trägt den Titel „Lebensfuge“, den Karl-Heinz Wiesemann aufgriff. Heute, an Silvester, füge sich ein Jahr ins andere, sagte er. Die Vergänglichkeit des Lebens werde uns bewusst, aber auch, dass es etwas gibt, das bleibt: Musik, eine bestimmte Melodie. Diese Lebensmelodie „müssen wir immer wieder neu erlauschen“. Jeder, der solch eine Melodie habe, werde berührt von der Mystik und Ordnung der Welt des Geistes, in die dunkle Mächte nicht vordringen könnten. Diese Musik berühre einen immer wieder, begleite einen und passe zu verschiedenen Ereignissen im Leben, weil die Musik so viele Dimensionen besitze. Damit zog er den Vergleich mit Gott, der die Menschen ebenso begleite und immer da sei und über alles hinausweist.
Den Wunsch an die Gläubigen formulierte Bischof Wiesemann musikalisch mit dem Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“, das er gemeinsam mit den Gottesdienstbesuchern sang. Der evangelische Theologe und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer hatte es dieses Lied 1944 in Gestapo-Haft geschrieben. Anschließend sprachen Bischof und Gemeinde das Glaubensbekenntnis.
Am Ende der Eucharistiefeier richtete Wiesemann den Wunsch nach Frieden für jeden Einzelnen, für Familien, die Welt und die Kirche an Gott. Gegen Ende des Pontifikalamtes am Jahresschluss wurde traditionell das Allerheiligste ausgesetzt und verehrt. Bevor sich der Bischof von der Gemeinde verabschiedete, dankte er allen, die an den Gottesdiensten im Dom mitwirken: darunter die Dommusik, die Sakristane und Messdiener.
Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Mädchenchor, den Domsingknaben, dem Domchor und den Dombläsern. Unter anderem erklangen die Missa „Fidem cantemus“ von Christian M. Heiß und „Ave Verum Corpus“ von Edward Elgar, zudem weihnachtliche Liedsätze von Rüding und Praetorius. Die Leitung übernahm Domkapellmeister Markus Melchiori, die Orgel spielte Domorganist Markus Eichenlaub.
Text und Fotos: Yvette Wagner
02.01.2020
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